Deutschland ist beim Wasserstoff auf Importe angewiesen. Für Erzeuger muss es daher attraktiv sein, ihre Produkte hierher zu verkaufen. Voraussetzung dafür ist ein funktionierender Markt – die Rahmenbedingungen werden gerade geschaffen.
ie die Energieversorgung mit klimafreundlichem Wasserstoff in Zukunft aussehen kann, lässt sich derzeit wohl nirgendwo besser besichtigen als vor den Toren von Halle (Saale). Zehn Kilometer südwestlich der Stadtgrenze entsteht hier mit dem Energiepark Bad Lauchstädt ein „großtechnisches Reallabor der Energiewende“, wie es die Betreiber nennen. Nach seiner Fertigstellung soll es die gesamte Wertschöpfungskette von Wasserstoff abbilden, der ohne CO2-Emissionen produziert wird: Acht Windenergieanlagen werden dann grünen Strom für einen Großelektrolyseur liefern, der pro Jahr bis zu 4.000 Tonnen Wasserstoff erzeugen kann. Für die Speicherung wird eine eigens dafür gesolte Salzkaverne zur Verfügung stehen, der Transport zu künftigen Industriekunden erfolgt über eine 30 Kilometer lange, umgewidmete ehemalige Erdgas-Pipeline.
Für das Großprojekt, das wichtige Aufschlüsse für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland geben soll, haben sich unter anderem der Windkraftanlagenbauer Terrawatt, der Konzern VNG mit Tochtergesellschaften wie dem Gasnetzbetreiber Ontras und der VNG Handel & Vertrieb GmbH sowie das Energieunternehmen Uniper zusammengeschlossen. Und während im Energiepark Windräder in den Himmel wuchsen und das Flachdach des Elektrolysegebäudes eine Begrünung erhielt, sind den Projektpartnern weitere wichtige Schritte gelungen. Mit der TotalEnergies-Raffinerie in Leuna konnte ein langfristiger Liefervertrag über grünen Wasserstoff abgeschlossen werden, es folgte im Dezember 2023 ein Kapazitätsvertrag über den Transport mit Netzbetreiber ONTRAS. „Es ist uns gelungen, Erzeugung und Abnahme mit der notwendigen Transportkapazität vertraglich zu koppeln“, sagte damals Sebastian Pflüger, Senior Project Manager Hydrogen bei VNG Handel & Vertrieb und Geschäftsführer der Elektrolyse Mitteldeutschland GmbH, einem gemeinsamen Joint-Venture mit Uniper.
Was wie ein nachgelagertes Detail aussieht, ist in Wirklichkeit entscheidend, um den Handel mit dekarbonisiertem Wasserstoff in Schwung zu bringen: verbindliche Liefer- und Abnahmevereinbarungen zu verbindlichen Konditionen. Die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff stelle auch die Händler vor große Herausforderungen, sagt Clemens Lange, Head of Business Development & Green Transformation bei VNG Handel & Vertrieb. „Anders als beim Erdgas gibt es keinen regulierten Markt und keine standardisierten Verträge“, sagt Lange. „Was es gibt, ist die Unklarheit über Produktions- und Bedarfsmengen, über Verfügbarkeit und Preisentwicklungen sowie über die Frage, was als klimafreundlicher Wasserstoff bewertet werden soll und wie.“ Der Energiepark Bad Lauchstädt biete eine gute Gelegenheit, diese Punkte im Kleinen durchzuspielen.
„Wir versuchen natürlich, unsere Erfahrungen aus dem Handel mit Erdgas auf Wasserstoff zu übertragen“, ergänzt Langes Kollege Alexander Lück, der bei VNG Handel & Vertrieb den Bereich Sales & Marketing leitet. „Von Vorteil ist, dass das Thema Produzenten, Netzbetreiber und Anwender gleichermaßen bewegt.“ Allerdings sei der bestehende Markt für Wasserstoff ein reiner Rohstoffmarkt – für grauen Wasserstoff. Nun solle Wasserstoff zusätzlich auf dem Energiemarkt vermarktet werden – noch dazu als grüner Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien erzeugt wird. „Da kommen viele sehr komplexe Anpassungen hinzu“, sagt Lück.
Marktteilnehmer stehen aber noch vor einer weiteren Herausforderung. Es muss ihnen gelingen, über transparente Preise Liquidität in den Markt zu bringen und ein Preisniveau zu etablieren, das für Hersteller kostendeckend und für Anwender wettbewerbsfähig ist. Weil die Produktion kostenintensiv ist und die Nachfrage voraussichtlich das Angebot zunächst übersteigen wird, „wird grüner Wasserstoff aber erst mal definitiv teurer sein als Erdgas“, sagt Lück – selbst wenn der geplante Anstieg der CO2-Preise in den nächsten Jahren die Kosten für Erdgas erhöhen dürfte.
Deshalb hat Timo Bollerhey eine vielversprechende Idee ins Spiel gebracht. Bollerhey ist Geschäftsführer des Unternehmens Hintco, einer hundertprozentigen Tochter der 2021 gegründeten H2Global-Stiftung. Über einen zweistufigen Auktionsmechanismus will Hintco klimafreundlichen Wasserstoff und wasserstoffbasierte Derivate aus dem Ausland zu erschwinglichen Preisen nach Deutschland und Europa holen. Die Lücke zwischen Kaufpreis und dem zu erwartenden geringeren Verkaufserlös soll durch eine Zuwendung vom Bund beziehungsweise anderen Regierungen ausgeglichen werden. Die Bundesregierung hat die Pilotauktion mit einer Zuwendung in Höhe von bis zu 900 Millionen Euro ausgestattet. Weitere rund 3,5 Milliarden sollen folgen.
Die erste Auktion hat Hintco im Juli abgeschlossen: Zwischen 2027 und 2033 wird das Unternehmen Fertiglobe aus den Vereinigten Arabischen Emiraten bis zu 397.000 Tonnen grünen Ammoniak nach Deutschland liefern. Produziert wird der Ammoniak in Ägypten, in Kooperation mit der niederländischen OCI und dem norwegischen Unternehmen Scatec. Ammoniak wird bisher überwiegend für die Düngemittelproduktion verwendet, kann aber auch als Transportmedium für Wasserstoff zum Einsatz kommen. Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums sind 811 Euro pro Tonne an Fertiglobe zu entrichten. Zum Vergleich: Für graues Ammoniak sind derzeit Preise von 300 Euro pro Tonne realistisch, perspektivisch soll sich der Preis nach Schätzungen in Richtung 500 bis 600 Euro pro Tonne entwickeln.
Eigentlich H2Global-Stiftung. Sie wurde 2021 von 16 Unternehmen unter anderem aus der Energiebranche gegründet. Ihr Ziel ist es, die Wasserstoffwirtschaft in Deutschland voranzubringen. Dafür betreibt die Stiftung das Unternehmen Hintco, das über ein Doppelauktionsmodell grünen Wasserstoff und wasserstoffbasierte Derivate nach Deutschland einführt. Die Bundesregierung unterstützt die Bestrebungen finanziell.
Im Juli 2024 hat die Bundesregierung eine Importstrategie für klimafreundlichen Wasserstoff und Wasserstoffderivate beschlossen. Damit schafft Deutschland einen Rahmen für die Einfuhr dieser Energieträger nach Deutschland. Die Bundesregierung unterstützt eine diverse Produktpalette, zu der auch Ammoniak, Methanol, Naphtha und strombasierte Kraftstoffe gehören sollen, sowie den Ausbau verschiedener Transportwege. Um den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu beschleunigen, sollen auch kohlenstoffarmer (und nicht nur CO2-freier) Wasserstoff eingeführt werden.
Die zweite Fassung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie führte im Jahr 2018 erstmals ein EU-weit geltendes Gesamtziel für den Anteil von erneuerbaren Energien am Energiebedarf ein: Bis 2030, so wurde damals festgelegt, sollte der auf 32 Prozent steigen. Die 2023 beschlossene RED III erhöhte den Anteil auf 42,5 Prozent.
Im Februar 2023 hat die EU-Kommission zwei delegierte Rechtsakte verabschiedet, die verbindlich regeln, was in der EU als erneuerbarer Wasserstoff gilt. Der erste Rechtsakt legt vereinfacht gesagt fest, wie grüner Wasserstoff hergestellt wird (Elektrolyse) und schreibt vor, dass für den dafür benötigten Strom aus erneuerbaren Energien zusätzliche Kapazitäten errichtet werden müssen. Im zweiten Rechtsakt wird eine Methode bestimmt, wie Treibhausgasemissionen im Lebenszyklus von erneuerbaren Kraftstoffen nicht biogenen Ursprungs (renewable fuels of non-biological origin / RFNBO) zu berechnen sind.
Der Bedarf an Strom aus erneuerbaren Energien für Wasserstoff dürfte in den Jahren ab 2030 deutlich steigen. Um den Ausbau zu fördern und um zu vermeiden, dass die Stromerzeugung unter Druck gerät, hat die EU-Kommission festgelegt, dass der Strom für Elektrolyseure aus neu errichteten Anlagen etwa für Windkraft stammen muss. Sie dürfen nicht länger als drei Jahre vor Inbetriebnahme des Elektrolyseurs gebaut worden sein.
Herkunftsnachweise (HKN) sind elektronische Dokumente, die belegen, dass und mit welchem Anteil eine bestimmte Menge an Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt wurde. Die Methode ihrer Erstellung sorgt dafür, dass der Nachweis anhand von objektiven und transparenten Kriterien erfolgt. Herkunftsnachweise werden in einem Herkunftsnachweisregister gespeichert. Für Strom aus erneuerbaren Energien existiert ein solches Register seit mehr als zehn Jahren. Verantwortlich dafür ist das Umweltbundesamt, das nun auch ein HKN-Register für Wasserstoff einrichten soll.
Das Hintco-Modell soll dafür sorgen, dass Deutschland und Europa als Importmarkt für außereuropäische Produzenten attraktiv wird. Denn um den Bedarf an dekarbonisiertem Wasserstoff zu decken, müssen nennenswerte Mengen davon etwa aus Nordafrika und sogar aus Australien und Kanada kommen. So hat Hintco gerade erst mit der australischen und der kanadischen Regierung Vereinbarungen über die Bereitstellung von zusammengerechnet 400 Millionen Euro für den Fonds getroffen. Flankiert werden diese Bemühungen von einer Importstrategie für Wasserstoff, die die Bundesregierung im Juli dieses Jahres beschlossen hat. Um die Hürden für die Einfuhr möglichst niedrig zu halten, bezieht sie neben Wasserstoff, der mit Hilfe von erneuerbaren Strom erzeugt wird, darin kohlenstoffarmen Wasserstoff und seine Derivate mit ein. Das trifft zum Beispiel auf blauen Wasserstoff zu, der mit Erdgas samt CO2-Speicherung produziert wird.
Auf einer anderen Baustelle geht es ebenfalls Schritt für Schritt vorwärts: der Zertifizierung von Wasserstoff als klimafreundlich. Sie ist notwendig, damit Anwender sichergehen können, dass sie Wasserstoff mit einem möglichst niedrigen CO2-Fußabdruck erhalten und so politische Vorgaben für den Anteil an Erneuerbaren sowie die Bedingungen für staatliche Fördermittel erfüllen. Als Grundlage dafür haben sich die EU-Mitgliedsländer 2023 in einem Delegierten Rechtsakt auf Kriterien für grünen Wasserstoff geeinigt: Grundsätzlich muss Wasserstoff aus Strom erzeugt werden, der nachweislich aus erneuerbaren Energieträgern stammt. Das gilt auch für Importe aus Nicht-EU-Ländern.
Was so einfach klingt, unterliegt im Einzelnen sehr detaillierten Regelungen. So gilt zum Beispiel, dass eine Stromerzeugungsanlage, etwa eine Windkraftanlage, nicht älter als drei Jahre sein darf, wenn sie Strom für einen Elektrolyseur liefern soll. „Grundsätzlich finde ich es gut, dass wir jetzt diese Klärung haben“, sagt Clemens Lange von VNG Handel & Vertrieb. „Aber Regelungen wie die Drei-Jahres-Frist durch das Zusätzlichkeitskriterium oder das der Gleichzeitigkeit, das ab 2030 gilt und besagt, dass der EE-Strom in der Stunde des Verbrauchs produziert werden muss, sind kontraproduktiv und hemmen den Aufbau des Marktes.“ Man müsse sich einmal vorstellen, diese Vorschrift würde für die E-Mobilität gelten. „Wer würde sich dann noch ein E-Auto kaufen?“, sagt Lange.
Auch vonseiten der Anwender ist Kritik zu hören: „Auf EU-Ebene müssen die Anforderungen an grünen Wasserstoff überdacht werden“, sagt zum Beispiel Martin Giehl, Technikvorstand des Energieversorgers Mainova. Die aktuelle Rechtslage, wonach grüner Wasserstoff aus zusätzlich erzeugtem Strom aus erneuerbaren Quellen stammen muss, der außerdem zeitgleich und im selben Gebiet produziert wird, sei zu streng. „Das hemmt die Umsetzung von Elektrolyseprojekten, erschwert so den Hochlauf eines europäischen Wasserstoffmarkts und muss daher gelockert werden.“
Immerhin rückt die Zertifizierung von Wasserstoff nach und nach in greifbare Nähe. Die EU-Kommission setzt hier auf freiwillige Systeme – ähnlich wie es schon bei Biokraftstoffen und Biomasse der Fall ist. Zwar stehen dafür bereits Anbieter wie CertifHy oder GutCert in den Startlöchern, doch die erforderliche Anerkennung durch die EU-Kommission steht noch aus. Anschließend muss das Umweltbundesamt die Zertifizierungsstellen akkreditieren, bevor sie beginnen können, Zertifikate auszustellen. Das Umweltbundesamt baut parallel dazu ein Herkunftsnachweisregister für Gas und Wasserstoff auf, das die Herkunft von produzierten Energiemengen dokumentiert und für Verbraucher transparent macht.
„Es kommt jetzt darauf an, ein einfach anzuwendendes Zertifizierungssystem zu installieren“, sagt Clemens Lange. „Nicht so wie beim Biomethan mit Dutzenden verschiedenen Qualitäten, komplexen Nachweisprozessen und verschiedenen Plattformen.“ Aus seiner Sicht kommt dafür am besten eine Zertifizierung anhand des CO2-Fußabdrucks infrage. „Denn worum geht es denn bei alldem? Doch nur darum, dass wir endlich konsequent CO2 einsparen!“