SCHWERPUNKT

Überall fließt’s

Europa verbindet sich: Um künftig die benötigten Mengen an Wasserstoff zu den Verbrauchern zu transportieren, werden auf dem Kontinent neue Fernleitungen gebaut und bereits bestehende umgerüstet. So soll ein grenzüberschreitendes Netz entstehen.

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ie Mitglieder der European Hydrogen Backbone (EHB) Initiative teilen eine Vision: Bis 2030 soll ein etwa 32.000 Kilometer langes Wasserstoffleitungsnetz 28 europäische Länder miteinander verbinden und in den beteiligten Staaten die Versorgung mit klimaneutralem Wasserstoff gewährleisten. Dann sollen durch dieses Netz laut dem REPowerEU-Plan der EU-Kommission bis zu 20 Millionen Tonnen aus erneuerbaren Ressourcen erzeugter Wasserstoff (H₂) fließen – und dazu beitragen, Industrieproduktion, Verkehr und Energieversorgung zu dekarbonisieren. Nach den Plänen der EHB-Initiative, zu der sich 33 große europäische Gasnetzbetreiber zusammengeschlossen haben, soll das Wasserstoffnetz bis 2040 dann auf fast 58.000 Kilometer wachsen. In rund 40 zum Teil grenzüberschreitenden Projekten arbeitet sie derzeit daran, ihre ehrgeizige Vision wahr werden zu lassen.

Beim EHB geht es auch darum, genügend Wasserstoff nach Nordwest-, Mittel- und Osteuropa transportieren zu können. Denn Industrieländer wie Deutschland werden nicht in der Lage sein, die für den nationalen Bedarf erforderlichen Mengen Wasserstoff selbst herzustellen. So geht die Bundesregierung davon aus, dass es bis 2030 zwar gelingt, etwa 30 bis 50 Prozent des prognostizierten Bedarfs von 95 bis 130 Terawattstunden mit inländischer Produktion zu decken – dafür sollen laut der Nationalen Wasserstoffstrategie zehn Gigawatt an Elektrolysekapazitäten aufgebaut werden. Aber für den Rest braucht es zuverlässige Transportwege aus den Regionen Europas – und mittelfristig auch Nordafrikas –, die aufgrund ihrer klimatischen und geografischen Bedingungen prädestiniert sind, in industriellem Maßstab günstig Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Mit dem grünen Strom wird bei der Elektrolyse Wasserstoff ohne Freisetzen von CO2 produziert, sogenannter grüner Wasserstoff.

Zu den geeigneten Regionen gehört beispielsweise die iberische Halbinsel mit Spanien und Portugal. Allein Spanien will bis zum Beginn des nächsten Jahrzehnts eine Elektrolysekapazität von elf Gigawatt aufbauen – europäischer Spitzenwert. Portugal plant mit immerhin 2,5 Gigawatt an Produktionskapazitäten; das Land will in den kommenden Jahren die nachhaltige Produktion von Wasserstoff mit rund sieben Milliarden Euro fördern. Experten wie Nico Raß von Open Grid Europe (OGE) gehen davon aus, dass die beiden Länder zusammen ab 2030 jährlich bis zu zwei Millionen Tonnen klimafreundlichen Wasserstoff exportieren könnten.

„SPANIEN UND PORTUGAL HABEN GUTE VORAUSSETZUNGEN“

Raß leitet bei OGE den Bereich Business Development Hydrogen International. Der größte deutsche Gasnetzbetreiber treibt zusammen mit Partnern ein Projekt voran, das die Infrastruktur für den Transport dieser erheblichen Mengen an Wasserstoff nach Deutschland aufbaut. Unter dem Projektnamen H2med sollen die nationalen Wasserstoffnetze von Spanien und Portugal miteinander verbunden und mit denen in Frankreich und Deutschland verknüpft werden. „H2med ist ein zentrales Projekt für die Versorgung Deutschlands mit wettbewerbsfähigem Wasserstoff“, sagt Raß. „Spanien und Portugal haben sehr gute Voraussetzungen, um grünen Wasserstoff über Skaleneffekte und dank guter Lastprofile von Photovoltaik- und Windkraftanlagen günstiger zu produzieren als in vielen anderen Bereichen der Welt.“

Ein bedeutender Baustein des H2med-Projekts ist eine Pipeline, die mit einer Länge von 455 Kilometern zwischen Barcelona und Marseille auf dem Meeresboden verlaufen soll. Der Baubeginn ist für 2028 geplant, die Inbetriebnahme für 2030. „Das Projekt liegt sehr gut im Zeitplan“, sagt Nico Raß. „Derzeit laufen die technischen Vorstudien, 2027 wollen wir H2med ,ready for construction‘ haben, um mit den Ausschreibungen für den Bau beginnen zu können.“ Dass H2med in die EU-Liste der wichtigen Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI) aufgenommen wurde, kann hierbei von entscheidendem Vorteil sein: Es beschleunigt die Planungs- und Baugenehmigungsverfahren und eröffnet die Möglichkeit, europäische und nationale Fördermittel zu erhalten.

Für OGE mit einem Fernleitungsnetz von rund 12.000 Kilometern Länge ist es enorm wichtig, das Projekt zum Erfolg zu führen. Um die Nachfrage nach Wasserstoff in Deutschland wie prognostiziert bedienen zu können, will das Unternehmen ein inländisches Wasserstoffnetz aufbauen und Wasserstoff aus Südwesteuropa einspeisen. „Der Wasserstoff aus dem H2med-Projekt soll in Medelsheim über die Grenze nach Deutschland kommen“, sagt Raß. „Dort werden wir ihn übernehmen und innerhalb Deutschlands zusammen mit den anderen Fernleitungsnetzbetreibern weiterverteilen.“ OGE wird dafür Teile seines bestehenden Erdgasnetzes umrüsten und zusätzlich neue Leitungen für den Transport von Wasserstoff errichten, vornehmlich in West- und Süddeutschland. „Das Verhältnis von Um- zu Neubau wird etwa 60 zu 40 sein“, sagt Raß.

Das geplante Netz von OGE wird Teil eines deutschen Wasserstoff-Kernnetzes – das inzwischen ebenfalls Form und Gestalt annimmt. So hat die Bundesnetzagentur im Oktober einen entsprechenden Antrag der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber, darunter OGE und ONTRAS, mit nur wenigen Änderungen genehmigt. Demnach wird das Netz nach seiner Fertigstellung 9.040 Kilometer umfassen und von Ellund in Schleswig-Holstein bis Lindau am Bodensee und vom belgischen Städtchen Eynatten bei Aachen bis Eisenhüttenstadt reichen. Wie im Energiewirtschaftsgesetz vorgesehen, soll das Kernnetz bis zum Jahr 2032 sukzessive Erzeugungs- und Verbrauchsschwerpunkte miteinander verbinden und auch Speicher und Importzentren miteinbeziehen.

Für die Errichtung ist eine Investitionssumme von 18,9 Milliarden Euro vorgesehen. Bereits 2025 könnten die ersten Leitungen umgestellt werden. Die Finanzierung des Kernnetzes soll bis 2055 durch Netzentgelte erfolgen. Wie die Bundesnetzagentur mitteilt, würden die vorübergehenden Finanzierungslücken bei den Netzbetreibern durch einen staatlich abgesicherten Fördermechanismus zwischenfinanziert.

ES GIBT AUCH RÜCKSCHLÄGE

Der FNB Gas e.V., ein Zusammenschluss der überregionalen Gastransportunternehmen, sieht in der Genehmigung des Wasserstoff-Kernnetzes einen Meilenstein. Bereits 2025 könnten die ersten Leitungen umgestellt werden. Zugleich mahnt die Vereinigung in einer Stellungnahme zum geplanten Wasserstoff-Beschleunigungsgesetz „Deutschlandgeschwindigkeit“ für den Wasserstoff-Netzausbau an, wie sie der Politik beim Bau der LNG-Terminals gelungen sei. Dafür sollte zum Beispiel das EU-Vergaberecht nicht für Beschaffungsvorgänge im Wasserstoffsektor angewendet werden. Stattdessen müssten die „erfolgreichen Instrumente des LNG-Gesetzes auf den Aufbau von Wasserstoffnetzen ausgeweitet werden“, schreibt Barbara Fischer, Geschäftsführerin von FNB Gas.

Während der Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur trotz offener Fragen an vielen Stellen Fahrt aufnimmt, gerät er andernorts ins Stocken. So wurde im Rahmen der deutsch-norwegischen Energiepartnerschaft das Vorhaben zur Errichtung einer Wasserstoffpipeline aufgegeben. Als Gründe wurden die unzureichende Nachfrage und die Kosten genannt. Damit entfällt auch die geplante Lieferung von dekarbonisiertem Wasserstoff. Dekarbonisierter Wasserstoff wird aus Erdgas hergestellt, wobei das anfallende CO₂ gespeichert wird. Dieser Wasserstoff hat einen erheblich reduzierten CO₂-Fußabdruck gegenüber Erdgas (95%). Der norwegische Gaskonzern Equinor verfolgt weitere Erzeugungsprojekte in den Niederlanden, Deutschland und Belgien und plant, den so gewonnen Wasserstoff über bestehende Leitungen in das deutsche Kernnetz einzuspeisen. Experten wie der ehemalige RWE-Chefvolkswirt Graham Weale fordern angesichts des Pipeline-Stopps mehr Kosten-Nutzen-Überlegungen bei der Wasserstoffstrategie.

Spanisches Wasserstoffnetz
Portugiesisches Wasserstoffnetz

H2med – von Spanien und Portugal nach Deutschland

Spanien und Portugal wollen bis 2030 erhebliche Elektrolysekapazitäten aufbauen, von denen ein großer Teil über Pipelines nach Westeuropa und Deutschland gelangen sollen. Dafür werden zum einen die nationalen Netze der beiden Länder miteinander verknüpft (Projekt CelZa) und zum anderen die iberische Halbinsel durch eine unterseeische Pipeline mit Frankreich verbunden, die von Barcelona nach Marseille reicht (Projekt BarMar). Insgesamt werden 703 Kilometer Pipeline neu errichtet. Die Kapazität liegt bei zwei Millionen Tonnen pro Jahr. Die Inbetriebnahme ist für 2030 geplant.

SoutH2 – grüner Wasserstoff aus Nordafrika

Grün erzeugter Wasserstoff aus Nordafrika soll über den SoutH2-Korridor nach Italien, Österreich und Deutschland gelangen. Dafür ist ein Leitungsnetz mit einer Länge von 3.300 Kilometern vorgesehen, das Teil des European Hydrogen Backbone werden soll. Die Inbetriebnahme soll 2030 erfolgen. Nach Angaben der Projektpartner könnte SoutH2 mit einer Importkapazität von mehr als vier Millionen Tonnen pro Jahr etwa 40 Prozent des REPowerEU-Importziels erfüllen.

Nordsee-Korridor

Dänemark will in die industrielle Produktion von Wasserstoff einsteigen und erhebliche Mengen davon exportieren. Über eine Pipeline soll das klimafreundliche Gas von Westdänemark nach Schleswig-Holstein transportiert werden. Die Fertigstellung ist für 2031 geplant. Wie H2med und SoutH2 gehört das Projekt zu einem der fünf Pipeline-Korridore, durch die die EU Wasserstoff aus Regionen nach Europa importieren will, die günstige Produktionsvoraussetzungen bieten. Weitere Korridore verlaufen über die Ostsee und Südosteuropa.

Umstellungsleitung
Neubauleitung

Wasserstoff-Kernnetz – Pipelines bis in jede Region

Die Errichtung eines Wasserstoff-Kernnetzes in Deutschland basiert auf dem Energiewirtschaftsgesetz. Darin werden die Betreiber von Fernleitungsnetzen beauftragt, ein Leitungsnetz für den Transport von Wasserstoff zu errichten. Deren Zusammenschluss FNB Gas hat einen Plan dafür entwickelt, den die Bundesnetzagentur im Oktober dieses Jahres genehmigt hat. Das Netz soll bis 2032 stehen und rund 9.000 Kilometer umfassen.

European Hydrogen Backbone – eine kontinentale Verbindung

33 europäische Netzbetreiber haben sich zur Initiative European Hydrogen Backbone zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist es, ein knapp 53.000 Kilometer langes Leitungsnetz für den Transport von Wasserstoff aufzubauen. Dafür sollen neue Pipelines errichtet, aber überwiegend bestehende Erdgasleitungen für Wasserstoff umgerüstet werden. Die geplante Infrastruktur umfasst 25 EU-Mitgliedstaaten und dazu Norwegen, Großbritannien und die Schweiz.

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Veröffentlicht:
Juni 2024
Illustration: C3 Visual Lab
Foto: OGE
Text: Ralf Mielke

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