Streitkultur

Ist die Schuldenbremse angesichts der enormen Herausforderungen, die auf Deutschland zukommen, um die Energiewende zu schaffen, noch zeitgemäß? Oder muss sie dringend angepasst werden? Zwei Meinungen zu einem aktuell kontrovers diskutierten Thema.

Soll der Staat für die Energiewende neue Schulden aufnehmen?

Ist die Schuldenbremse angesichts der enormen Herausforderungen, die auf Deutschland zukommen, um die Energiewende zu schaffen, noch zeitgemäß? Oder muss sie dringend angepasst werden? Zwei Meinungen zu einem aktuell kontrovers diskutierten Thema.

Nina Scheer
ist Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg/Stormarn-Süd sowie Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
Nina Scheer
ist Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg/Stormarn-Süd sowie Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
1
1

PRO

Nicht die Energiewende verlangt neue Schulden, sondern die Garantie von zukunftsfester wie bezahlbarer Energieversorgung. Unsere Infrastruktur wurde über viele Jahrzehnte auf fossile Energie und Atomkraftwerke zugeschnitten. Nachhaltige Energieversorgung, die die Endlichkeit fossiler Ressourcen anerkennt, den Klimaschutzzielen gerecht wird, Deutschland als Wirtschaftsstandort stärkt, Energiearmut verhindert sowie Versorgungssicherheit garantiert, verlangt den beschleunigten und damit auch infrastrukturellen Umstieg auf erneuerbare Energien; sie bieten die heute bereits günstigste Form der Energiegewinnung.

Dieser Weg verlangt neben der Finanzierung von Infrastruktur auch die Stärkung europäischer Wertschöpfung von Transformationstechnologien, deren Preise auch international beeinflusst werden, wie etwa bei der Batteriezellenfertigung und Solarwirtschaft zu beobachten. Den Strukturwandel zu unterlassen, wird deutlich teurer. Auch unsere Energienetze verlangen in ihrer infrastrukturellen Bedeutung staatliche Leistungen, nicht zuletzt zugunsten einer Lenkungsfunktion nutzungsorientierter Netzentgelte.

Aus alldem folgt der Maßstab für eine bedarfs­gerechte, nachhaltige Schuldenpolitik. Es gibt verschiedene Finanzierungsoptionen, zu denen auch staatliche Mehreinnahmen, Fondslösungen und Sondervermögen für Transformationsaufgaben zählen – aber eben auch eine Reform der Schuldenbremse, da sie in der geltenden Form die Garantiefunktion des Staates nicht hinreichend abbildet.

Nina Scheer
ist Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg/Stormarn-Süd sowie Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
„Wir brauchen mehr Effizienz beim Klimaschutz, keine neue staatliche Schuldenspirale.“
Torsten Herbst
ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Mitglied im Bundesvorstand der FDP und Landesschatzmeister der FDP Sachsen.
2
2

CONTRA

Die Schuldenbremse zwingt die Politik dazu, nicht über ihre Verhältnisse zu leben. In der Zeit vor der Schuldenbremse wurde nicht mehr investiert, sondern mehr konsumiert. Im Haushalt 2024 erreichen die Investitionen trotz Krise dagegen ein Rekordniveau.

Die Dekarbonisierung des Energiesektors ist ohne Frage eine gewaltige Aufgabe. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Schuldenbremse dafür abgeschafft werden muss. Im regulären Bundeshaushalt und im Klima- und Transformationsfonds (KTF) stehen bereits viele Milliarden Euro zur Unterstützung von Investitionen in mehr Klima­freundlichkeit zur Verfügung. Wer zusätzliche Schulden aufnehmen will, muss auch erklären, wie er Zinslasten und Tilgung bewältigen will. Die Zinslasten des Bundes liegen allein 2024 bei fast 40 Milliarden Euro – und damit deutlich höher als die Ausgaben für Bildung und Forschung. Neue Schulden kosten noch mehr Geld, das für Verkehrsinvestitionen, Digitalisierung oder Gesundheitsversorgung fehlt. Neue Schulden verlagern die Lasten aktueller politischer Entscheidungen auf kommende Generationen. Und: In der Corona- und Energiekrise konnte Deutschland nur deshalb mit umfassender finanzieller Unterstützung für Bürger und Unternehmen reagieren, weil die Staatsschulden im Vergleich zur Wirtschaftskraft noch tragfähig waren.

Die Energiewende wird dann erfolgreich sein, wenn sie überwiegend marktwirtschaftlich und mit privatem Kapital erfolgt. Ohne die Perspektive von soliden Geschäftsmodellen werden wir Wohlstand verlieren, ohne einen globalen klimapolitischen Erfolg zu erreichen. Wir brauchen daher nicht eine neue staatliche Schuldenspirale, sondern mehr ökonomische Effizienz beim Klimaschutz. Für eine technologiestarke Exportnation wie Deutschland ist es möglich, die Herausforderungen des Klimaschutzes anzugehen, ohne die finanzielle Zukunft des Landes aufs Spiel zu setzen.

„Wir brauchen mehr Effizienz beim Klimaschutz, keine neue staatliche Schuldenspirale.“
Torsten Herbst
ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Mitglied im Bundesvorstand der FDP und Landesschatzmeister der FDP Sachsen.
3
3
„Zu den Finanzierungsoptionen zählt auch eine Reform der Schuldenbremse.“
Nina Scheer
ist Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Herzogtum Lauenburg/Stormarn-Süd sowie Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion.
„Wir brauchen mehr Effizienz beim Klimaschutz, keine neue staatliche Schuldenspirale.“
Torsten Herbst
ist Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Mitglied im Bundesvorstand der FDP und Landesschatzmeister der FDP Sachsen.
4
4
5
5
6
6
Nina Scheer
„Zu den Finanzierungsoptionen zählt auch eine Reform der Schuldenbremse.“
Veröffentlicht:
Juni 2024
Fotos: Aristidis Schnelzer, Jan Kräutle

Weitere Artikel

Feature
Die Fabrik von übermorgen

Die Papierherstellung zählt zu den Industrien mit großem CO2-Fußabdruck. Ein Unternehmen im Sauerland zeigt, wie die Dekarbonisierung gelingen kann.

Mehr lesen
Reportage
Wo das verflüssigte Gas ankommt

Der Aufbau einer  LNG-Importinfrastruktur verschafft Deutschland den schnellen Zugang zum weltweiten Markt. Ein Besuch beim schwimmenden Terminal in Brunsbüttel.

Mehr lesen
Zoom
Sauber unterwegs

Schiene, Straße, Luftverkehr: Im Bereich Mobilität tut sich einiges, damit Menschen und Waren möglichst CO2-arm von A nach B kommen.

Mehr lesen